Inneres Team-Aufstellungen: Wer in dir tatsächlich die Strippen zieht

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© Erica Guilane-Nachez – Fotolia.com

Ich bin etwas nervös beim Vorgespräch.

Nicht allzu oft kommt ein erfahrener Familienaufstellungskollege zu mir, um eine Aufstellung zu machen.

Erik bat mich schon am Telefon um eine Aufstellung seines Inneren Teams.

„In mir gibt es sehr stark widerstreitende Stimmen, die mich so blockieren, dass es mir schwerfällt, Entscheidungen zu treffen.“

Irgendjemand hat mir gegenüber mal behauptet, dass das innere Team und die Konfliktlösung nichts anderes ist als die Integration des Schattens nach C.G. Jung. Ich habe damals kurz nachgedacht und widersprochen. Denn es kommt auch zwischen sich nicht im Schattenanteil befindlichen Persönlichkeitsanteilen zu Blockierungen, weil sie z. B. gesehen bzw. gewürdigt werden wollen.

Der Begriff des inneren Teams geht auf Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun zurück, der ihm in seiner Buchreihe „Miteinander reden“ ein ganzes Buch gewidmet hat.

Es hat sich herausgestellt, dass sich sein Ansatz sehr gut in die Aufstellungsarbeit integrieren lässt.

Schulz von Thun geht davon aus, dass in uns mehr als „zwei Seelen in unserer Brust“ wohnen.

Die inneren Teammitglieder sind nicht nur Gefühle oder Verhaltensweisen, sondern sie sind Teile, die ein besonderes seelisches Anliegen vertreten oder eine bestimmte Rolle übernehmen (frei zitiert mit eigenen Hervorhebungen nach F.S.v.T. „Miteinander reden 3:Inneres Team“, Kap. 1.2).

Sie rühren her aus Erfahrungen unserer Lebensgeschichte und unsere Reaktion darauf, aus Übernahme von positiven und negativen Rollenvorbildern oder können gänzlich aus dem Familiensystem übernommen sein (auch Abspaltungen, Traditionen, Tabus usw.).

Schulz von Thun selbst sieht die Seele des Menschen als ‚gruppendynamische‘ Ausformung einer einzigen Seele an und nicht als mehrere Seelen.

Wir haben also ein Team in uns.

Es ist aber nicht immer gleich, denn gewisse innere Teammitglieder treten nur dann in Erscheinung, wenn sie ‚getriggert‘ werden, d. h., wenn etwas passiert, was für sie relevant ist (situationsbezogene Teamaufstellung).

Die innere Instanz, die die innere Pluralität führt, ist das Oberhaupt.

Es sorgt für Kontrolle, Moderation, Integration, Konfliktmanagement, Personal- und Teamentwicklung und die situative Personalauswahl und Einsatzleitung bei einem bestimmten Problem.

So ist es im Idealfall.

Leider gibt es aber im Normalfall bei unserer inneren Bühne Teammitglieder, die

– sich gern in den Vordergrund drängen

– sich nicht gern zeigen (z. B. aus Scham)

– aus dem Hintergrund versteckt agieren

– explosionsartig hervortreten können (z. B. bei Wut)

– nur zaghaft in Erscheinung treten (und evtl. leicht übersehen werden)

– verbannt wurden (in den Schatten) und von dort sabotieren (aktive Verbannte)

– verbannt wurden und ‚gefesselt‘ oder ‚ausgegrenzt‘ sind (passive Verbannte) bis hin zur Abspaltung

– uvm.

 

Schauen wir uns Eriks Aufstellung an:

Erik wählt 6 Stellvertreter aus. Es sind fünf Stimmen, die er bisher wahrgenommen hat und das Oberhaupt.

Ich bitte Erik, jeder Stimme einen Titel zu geben und ihr einen, möglichst kurzen Satz zu geben.

Es sind:

  1. Das Oberhaupt (OH)
  2. Der Ehrgeizige (EG): „Ich suche Erfolg und Anerkennung.“
  3. Der nette Sunnyboy (SB): „Ich möchte, dass mich jeder mag.“
  4. Der genießende Faule (GF): „Ich mach mal low.“
  5. Der Hilfreiche (HR): „Ich helfe gern.“
  6. Der Egoist (EO): „Ich schau erst mal nach mir.“

Dann stellte Erik sein inneres Team auf.

Erik 1

Abbildung 1: Anfangsbild, Abkürzungen wie oben

Es ist gut zu erkennen, dass sich in Erik zwei Lager gebildet haben.

Auf der einen Seite sind da der Sunnyboy und der Hilfreiche, die sich vor dem Oberhaupt aufbauen.

Auf der anderen Seite sind der Ehrgeizige und der Egoist.

Der genießende Faule versteckt sich etwas hinter dem Egoisten und schaut etwas missmutig auf den Ehrgeizigen.

Es fällt aber auch auf, dass in der Mitte ein ‚Loch‘ bleibt. Dies ist oft ein Hinweis, dass noch jemand in der Aufstellung fehlt.

Da Erik kein weiteres Teammitglied einfällt, stellen wir einen hypothetischen Anteil (HA) hinein.

Erik 2

Abbildung 2: Zwischenbild mit hypothetischem Anteil (HA)

Der hypothetische Anteil fixiert das Oberhaupt mit seinen Augen. Er ist tendenziell mehr Teil der Gruppe um den Ehrgeizigen und den Egoisten.

L=Leiter, andere Abkürzungen wie oben

L (zum OH): Wie geht es dir mit deinem inneren Team hier vor dir?

OH: Mmmh … ich fühle mich wie gelähmt. Der hypothetische Anteil beunruhigt mich.

L (zum OH): Hast du zu einem der Teammitglieder eine besondere Beziehung?

OH: Naja, den Sunnyboy mag ich besonders. Den Ehrgeizigen nicht so.

L (zu EG): Wie geht es dir damit, dass das Oberhaupt dich nicht so mag?

EG: Wundert mich nicht bei diesem Weichei! Dabei könnte er mich dringend brauchen.

L (zum OH): Siehst du das auch so, dass du den Ehrgeizigen dringend brauchen könntest?

OH: Naja, vielleicht …

Ich frage das Oberhaupt nacheinander nach den anderen Teammitgliedern.

Der Faule und der Egoist sind ihm eher peinlich, auf den Hilfreichen ist er eher stolz. Den Sunnyboy bevorzugt er. Dann kommen wir zum hypothetischen Anteil.

L (zum HA): Wie geht es dir mit dem Oberhaupt?

HA: Ich fühle mich wichtig, aber vom Oberhaupt nicht gewürdigt.

L (zum HA): Du stehst an einer Stelle, an der man auch das Oberhaupt vermuten könnte – wem fühlst du dich hier am meisten verbunden?

HA (schaut sich um): Dem Ehrgeizigen.

L (zum HA): Gibt es noch jemandem?

HA: Ja, dem Hilfreichen.

L: Stell dich mal zwischen die beiden und das Oberhaupt nimmt dann deinen Platz ein.

HA: Das traut er sich ja doch nicht – aber OK, ich mach’s.

Erik 3

Abbildung 3: Zwischenbild 2

L (zum HA): Du stehst jetzt zwischen dem Hilfreichen und dem Ehrgeizigen. Das ist oft eine Teamkonstellation in einer Jobsituation, gerade weil Erik ja als Therapeut arbeitet – kannst du mal in dich hineinspüren, was du sein könntest?

HA (schließt die Augen): Mmh … ich bin so etwas wie Struktur oder … Professionalität … vielleicht …

L (zum Klienten Erik): Siehst du das so, dass dir bisher Struktur und Professionalität bei deiner therapeutischen Arbeit gefehlt haben?

Erik: Ja, allerdings.

Ich bitte Erik, anstelle des Oberhaupts in die Aufstellung zu kommen und stelle die Teammitglieder in einen kompletten Halbkreis um.

Erik 4

Abbildung 4: Endbild

L (zu Erik): Sag mal zum HA: ‚Ich sehe dich jetzt und deine Notwendigkeit‘ – wenn es für dich stimmt.

Erik: Ja, passt schon: ‚Ich sehe dich jetzt und deine Notwendigkeit.‘

L (zu HA): Ist es bei dir angekommen?

HA: Ja, aber etwas schwach.

L (zu Erik): Sag es nochmals mit Kraft.

Erik sagt es lauter und mit kräftiger Stimme.

L (zu Erik): Spür jetzt mal in dich rein – bist du immer noch innerlich blockiert?

Erik (schließt kurz die Augen): Nein, ich fühle mich ziemlich klar.

L (zu Erik): Kannst du zum HA sagen ‚Danke, dass du dich hier gezeigt hast!‘

Erik sagt es. Der HA lächelt.

L (zu Erik): OK, spür jetzt noch mal richtig hier hinein und dann würde ich es so stehen lassen.

Wir beenden kurz darauf die Aufstellung.

 

In dieser Aufstellung hat sich ein verborgenes bzw. unbewusstes Teammitglied offenbart.

Das ist natürlich ein Geschenk.

Es muss aber auch angenommen werden.

Erik stand vor einem wichtigen beruflichen Reifungsschritt, der ihn innerlich blockiert hatte. Er war es bisher gewohnt gewesen, sich irgendwie durchzuwurschteln. Doch jetzt war er an die Grenze des Improvisierens gestoßen.

Dass ein Teammitglied in ihm bereits existierte, das ich hilfsweise mal den ‚Professionellen‘ nennen möchte, kam nicht zum Tragen, weil der Sunnyboy sehr stark im Vordergrund stand. Der Professionelle musste quasi aus dem Untergrund her sabotieren, um auf sich aufmerksam zu machen.

In der Dokumentation dieser Aufstellung habe ich die Auseinandersetzung mit dem Sunnyboy weggelassen, um schneller zum eigentlichen Kernpunkt zu kommen.

 

Die Innere Team-Aufstellung hat dort ihre Stärken, wo es um

– innere Blockaden

– Verwirrung

– starke innere Dialoge

– Selbstzweifel

– innere Kämpfe

– innere Integration

– u.Ä.

geht.

 

Ich empfehle, zumindest das Buch „Inneres Team“ von Schulz von Thun zu lesen (auch die anderen sind sehr lesenswert).

Dort wird eine Vielzahl von Situationen und Beispielen hervorragend dargestellt.

 

Kleine Übung zum Schluss für Neugierige:

Wie sieht dein inneres Team im Kontext zu Partnerschaft aus?

Gib jeder Stimme einen charakteristischen Namen (so wie es dir gefällt)!

Welche Stimmen kommen sofort?

Welche melden sich erst nach einiger Zeit?

Welche werden aus Scham- oder Schuldgefühl abgewürgt und/oder evtl. in den Untergrund gedrängt?

Welche wird gern präsentiert?

Welche eher versteckt?

 

Wie könnte das Innere Team deines/r Partners/in aussehen …?

 

Viel Spaß beim Entdecken der Inneren Teams!


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Kommentare

2 Antworten zu „Inneres Team-Aufstellungen: Wer in dir tatsächlich die Strippen zieht“

  1. Avatar von Karolin

    Genial, das wäre perfekt für mich das mal aufzustellen. 😀

    1. Avatar von OCABM
      OCABM

      Liebe Karolin,
      es wird bestimmt einen guten Aufsteller in deiner Nähe geben, der das auch macht 😉
      Ich wünsche dir eine gute und erkenntnisreiche Aufstellung!

      LG und namaste

      Marc

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