Die 5 wichtigsten Gründe, wann eine Einzelsitzung vorab sinnvoll und wichtig ist

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„Also wir sind 6 Kinder und auch meine Mutter hatten 5 Geschwister, mein Vater nur 4 …“

„Warte mal kurz – hast du einen ausführlichen Stammbaum oder ein Genogramm dabei?“

„Nein, wieso …?“

„Weil wir jetzt vielleicht viel Zeit verlieren, wenn es auf die genauen Verhältnisse ankommt …“

Grundsätzlich kann eine Aufstellung ohne viel Vorwissen ablaufen.

Bert Hellinger selbst ist an Hintergrundwissen meist wenig bis gar nicht interessiert und sieht zu viel Information eher als hinderlich denn hilfreich.

Aber es gibt einige Themen und Anliegen, bei denen eine Einzelsitzung vorab sinnvoll und wichtig ist.

Gründe für Vorab-Einzelsitzungen für das Gelingen einer Aufstellung

  1. Komplexe Familienverhältnisse

Wie schon in der Einleitung veranschaulicht, ist es bei komplexen Familienverhältnissen wichtig, sie vorab angeschaut und durchgesprochen zu haben.

Das betrifft nicht nur kinderreiche Familien,

sondern auch Patchworkfamilien, mehrfach geschiedene und wiederverheiratete Paare mit Kindern aus diversen Ehen und Partnerschaften

und Adoptionskinder bzw. –familien und Pflegeeltern – Pflegeeltern haben öfter mehr als ein Pflegekind, die dann aus verschiedenen Familien stammen.

Hier sich Zeit in einer Einzelsitzung zu nehmen, verbessert die Chancen einer Aufstellung, hilfreich und klärend zu wirken.

 

  1. (Starke) Scham- und Schuldgefühle

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Nicht alle Themen müssen in einer Aufstellung ausgesprochen (verbalisiert) werden, damit die Aufstellung gelingt.

Es ist jedoch fast unerlässlich, dass der Aufstellungsleiter weiß, was warum verschwiegen wird, sodass er auch nicht nachhakt und aus Versehen den Aufstellenden bloßstellt.

Besonders Schamthemen können vorab schon einmal angesprochen und in ihrer Bedeutung eingeordnet werden, sodass der Aufstellungsleiter die spätere Aufstellung in eine gute Richtung lenken kann.

Viele intime Details sind auch nicht wichtig für die Aufstellung an sich.

Es lohnt sich jedoch, mit dem Aufstellungsleiter darüber vorab zu sprechen, damit er die Stärke der persönlichen Schutzschicht des Klienten einschätzen kann.

Ein Großteil des Gelingens einer Aufstellung ist davon bestimmt, dass man abgeschnittene oder verdrängte Gefühle wieder fühlen kann und mit ihnen in Berührung kommt – seien sie auch noch so schmerzhaft, peinlich oder fordernd.

Schuld- und Schamgefühle treten sehr oft gemeinsam auf, haben aber meist unterschiedliche Auslöser bzw. Herkunft.

Diese können schon in der Einzelsitzung behutsam angeschaut werden, sodass sie die Aufstellung später nicht behindern.

Dazu kommt, dass in der Einzelsitzung eine gesunde Vertrauensbasis zum Aufstellungsleiter geschaffen werden kann, die dann in der Aufstellung selbst unterstützend wirkt.

 

  1. Paaraufstellung – am besten erst jeder getrennt

Bei einer geplanten Paaraufstellung ist es sehr zu empfehlen – je verfahrener sie Situation ist, desto dringlicher –, dass jeder einzelne Partner vorab eine Einzelsitzung beim Aufstellungsleiter nimmt.

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Manchmal ist es sogar angeraten, zwei separate Aufstellungen für den jeweiligen Partner zu machen und erst danach eine gemeinsame Paaraufstellung.

Die Ziele eines Partners können sehr von den Zielen des anderen abweichen:

Er will Kinder, sie noch Karriere machen.

Sie möchte ihre bisexuelle Seite erkunden, er ist überzeugt monogam.

Er wünscht, dass seine Frau arbeiten geht, sie will lieber bei den Kindern bleiben.

Sie will heiraten, er sieht für diesen Schritt noch keinen Bedarf.

usw.

Je weiter die Positionen voneinander entfernt sind, desto sinnvoller ist es, sich über Trennendes und Einendes vorab in Einzelsitzungen klar zu werden.

Und so traurig und erschreckend es klingen mag, die Option „Wir trennen uns!“ sollte nicht von Anfang an ausgeschlossen sein.

Eine Trennung kann sehr wohl für alle Beteiligten – auch und gerade für eventuell vorhandene Kinder – die beste Lösung sein.

Wichtig ist hierbei nicht die (räumliche) Trennung, sondern der Umgang damit.

Auch eine mögliche Trennung würde und muss in einer Einzelsitzung angesprochen werden, um alle Optionen zur Verfügung zu haben.

 

  1. (Bekannte) Traumata

Auch wenn dem Klienten bekannt ist oder er vermutet, ein Trauma erlebt zu haben, ist es meines Erachtens sehr wichtig, darüber in einer Einzelsitzung zu sprechen.

Vielen traumatisierten Menschen ist nicht bewusst, was es tatsächlich mit sich bringt (bringen kann), wenn man traumatisiert ist.

In einem Einzelgespräch vorab kläre ich meine Klienten meist intensiv über Trauma, Abspaltung(en), Handlungseinschränkungen, Flash-backs, Baby-Steps und Selbstsabotage uvm. auf.

Allein schon das Wissen um die Zusammenhänge im Kontext mit Trauma wirkt erleichternd und die oft miteinander unversöhnlich umgehenden, inneren Persönlichkeitsanteile können erste Schritte zu innerem Frieden unternehmen.

Weiter erkläre ich auch die körperlichen Reaktionen von Trauma und Akut-Trauma, sodass der Klient nicht verstört wird, wenn sein oder ein anderer Stellvertreter Traumasymptome zeigt.

„Truth heals! – die Wahrheit heilt!“ ist hier ein wichtiger Leitsatz bei dieser Arbeit, denn meist kommen die Klienten aus Situationen, in denen sie selbst belogen wurden (z. B. über ihre Vergangenheit) oder sich selbst belügen und anklagen („Die Mama war immer lieb zu mir!“, „Du Versager bekommst auch gar nichts auf die Reihe!“ etc.).

Scheue dich nicht, deinen Aufsteller um eine Einzelsitzung zu bitten, wenn es um Trauma oder vermutetes Trauma geht!

Ein guter Aufsteller wird sich Zeit für dich nehmen und dein Anliegen würdigen.

 

  1. Die allererste Aufstellung
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Muss nicht sein, aber kann ein sinnvoller Schritt zur allerersten Familienaufstellung sein, wenn du vorab eine Einzelsitzung mit dem Aufsteller vereinbarst.

Der Aufsteller wird dir dann das nötige Grundwissen vermitteln und auf seine speziellen Gepflogenheiten hinweisen.

Eventuell wird er dich auch an einen Kollegen oder eine Kollegin verweisen, der/die auf dieses Thema besonders spezialisiert ist.

Ich selbst verweise Frauen mit einem Missbrauchsthema des Öfteren an meine weiblichen Kolleginnen, weil ich als Mann immer wieder in die (Mit)Täterrolle verschoben werden kann.

Das ist zwar kein Automatismus, aber wenn es bei einer Klientin verstärkt passiert, habe ich kein Problem damit, sie an eine Kollegin zu verweisen.

Bei der allerersten Aufstellung ist es noch sehr sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass nicht mit einer Aufstellung alle Probleme aus der Welt geschaffen werden.

Es ist vielmehr der Einstieg für den Weg der Heilreise, bei der Seele und Körper gesunden und wieder zueinanderfinden können.

Somit ist die allererste Aufstellung auch der allererste Schritt auf diesem Weg.

 

Fazit:

Wie mit diesen 5 Punkten gezeigt, gibt es einige gute Gründe, warum du als Klient vorab eine Einzelsitzung vereinbaren solltest.

Es gibt natürlich noch andere, hier nicht aufgeführte Gründe (z. B. Trauerfall, Psychosen),  die aber nicht die Bedeutung im Aufstellungsalltag haben.

Ich wünsche dir gute Erkenntnisse, wenn du mal eine Einzelsitzung bei dem Aufsteller deines Vertrauens nimmst.


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