Aufstellungen mit der Gruppenseele

© fotomek - Fotolia.com
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8 Mitglieder des Solarenergievereins „Sonnenklar“ (Name geändert) haben sich unter die Stellvertreter der Aufstellung gemischt. Der Verein verfolgt das Ziel, jedem Mitglied eine große Solaranlage für sein Haus zu ermöglichen, auch wenn das Geld oder die Bonität für eine Bankfinanzierung nicht ausreicht.

Doch durch einen Privatinsolvenzfall eines Mitglieds wurde die vom Verein finanzierte Solaranlage von der Bank einkassiert.

Eine Vertragslücke gegenüber dem Verein hatte das ermöglicht.

Obwohl die Lücke mittlerweile geschlossen wurde, herrscht unter den Vereinsmitgliedern tiefe Verunsicherung, ob und wie man jetzt weitermacht.

Schließlich entscheiden sie sich für eine Aufstellung, um sich Klarheit zu verschaffen.

Ich schlage eine Aufstellung mit der Gruppenseele des Vereins vor.

In Aufstellungen kann auch das ganze Wesen eines Vereins aufgestellt werden.

In die dann aufgestellte Gruppenseele fließen sowohl die individuellen Befindlichkeiten, Gefühle, Gedanken, Werte und Glaubenssätze ein als auch die tatsächlich gelebten und ausgedrückten der Gruppe als Ganzes.

Das hier beschriebene Vorgehen erinnert an eine Organisationsaufstellung, ist aber noch ganz im Familienstellenkontext.

 

Wie geht man ganz praktisch dabei vor?

Es hat sich meiner Erfahrung nach bewährt, dass die Gruppenmitglieder (Gruppensprecher) zwei Personen auswählen, die die Gruppenseele aussuchen und aufstellen.

Möglichst sollten es eine Frau und ein Mann sein. Es zeigt sich immer wieder, dass Männer und Frauen in Gruppen unterschiedliche Bedürfnisse haben, obwohl die Gruppe als Ganzes ein gemeinsames Ziel hat.

Die Beiden wählen nun zusammen eine/n Stellvertreter/in für die Gruppenseele aus.

Allein schon die Auswahl und das Einigen auf den/die Stellvertreter/in für die Gruppenseele ist an sich schon ein spannender Prozess, der sehr achtsam und aufmerksam ausgeführt werden muss.

Können sich beide nicht auf einen gemeinsamen Stellvertreter einigen, gibt es mehrere Möglichkeiten:

  1. Es wird unter allen anwesenden Gruppenmitgliedern ein Mehrheitsentscheid herbeigeführt.
  2. Der Leiter kann die anwesenden Stellvertreter (die nicht der Gruppe angehören) fragen, ob jemand in sich Resonanz für die Rolle als Gruppenseele spürt.
  3. Der Leiter wählt nach Billigung durch die Gruppe einen geeigneten Stellvertreter selbst aus.

Ich halte nichts von Losentscheiden oder anderen Zufallsauswahlen.

Schon bei Punkt 3 wird viel Verantwortung der Gruppe auf den Aufstellungsleiter ‚übergeben‘.

Hier stellt sich für mich immer die Frage, wie generell mit Verantwortlichkeit in der Gruppe umgegangen wird.

Gehen wir nun der Einfachheit halber davon aus, dass wir eine Gruppenseele gefunden haben.

Jetzt stellen sich die beiden Gruppensprecher hinter den Stellvertreter der Gruppenseele und geben ihm Energie (selbst) stellvertretend für die ganze Gruppe.

Dann suchen beide einen guten Platz für die Gruppenseele.

Können sie sich nicht einigen, ist es hier am Einfachsten, die Gruppenseele sich ihren Platz selbst suchen zu lassen.

Nun können andere Stellvertreter auf die gleiche Weise aufgestellt werden.

 

Die Aufstellung von „Sonnenklar“

© bildergala - Fotolia.com
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Die Gruppensprecher berichten mir, dass das privatinsolvente Mitglied (PIM) gemieden wird und seit Längerem nicht mehr zu den Versammlungen gekommen ist.

Wir stellen auf, beginnend mit der Gruppenseele (GS).

L = Leiter der Aufstellung, GS = Gruppenseele, NM = normales Gruppenmitglied, PIM = privatinsolventes Mitglied

Zuerst wird die Gruppenseele allein ziemlich genau in die Mitte gestellt. Es steht dort unbewegt und schaut mit den Augen suchend durch die Gegend.

L: Wie geht es der Gruppenseele?

GS: Mmmmh … ich fühle mich verwirrt und unsicher.

L: Wonach suchen deine Augen?

GS: Ich weiß nicht … Etwas fehlt.

L (zu den Gruppensprechern): Stellt mal 4 Gruppenmitglieder rein, 2 Männer und 2 Frauen.

Die 4 bilden einen verkürzten Halbkreis, beginnend links von der Gruppenseele.

L (zum GS): Hat sich was für dich verändert?

GS: Nein …

L (zu den Gruppensprechern): Stellt bitte das privatinsolvente Gruppenmitglied auf.

Sie stellen den Stellvertreter rechts neben die Gruppenseele, relativ weit weg. Er ist mit dem Rücken abgewandt und schaut nach rechts.

L (zu GS): Und jetzt? Hat sich was verändert?

GS: Ja. Ich werde klarer. Es ist gut, dass er da ist.

L (zu PIM): Wie geht es dir?

PIM: Ich fühle mich schlecht … und allein.

L: Dreh dich bitte mal zur Gruppenseele und den anderen um, kannst du das?

PIM: Ja.

Er dreht sich zögerlich um. 3 der 4 Gruppenmitglieder schauen ihn böse an. Ein männliches Gruppenmitglied schaut neutral-interessiert.

Die Gruppenseele krümmt sich leicht, so als hätte es Schmerzen.

L (zum GS): Was ist bei dir?

GS: Die Aggression gegenüber ihm (es zeigt auf PIM) tut mir weh.

L (zu den NM 1-4): Was macht das mit euch, wenn ihr seht, dass die Gruppenseele leidet?

Sie schweigen betroffen.

L (zu den NM 1-4): Wäret ihr zu einem Experiment bereit? Wie wäre es, wenn ihr das privatinsolvente Mitglied in eure Mitte nehmt und dann schaut, was bei der Gruppenseele passiert?

L (zu PIM): Wäre das auch für dich OK?

PIM: Ja.

Sie nehmen ihn in ihre Mitte und schauen gemeinsam zur Gruppenseele.

Sie fängt an sich zu entspannen und richtet sich auf.

L (zu den NM 1-4): Könnt ihr sagen: Er gehört noch immer dazu.

Sie sagen es.

L (zu PIM): Kannst du sagen: Ich gehöre dazu.

Er sagt es es.

Die Gruppenseele fängt an zu lächeln.

Ich ordne die Gruppenmitglieder nach der Zeit der Vereinszugehörigkeit, wobei ich sie hypothetisch zuweise. PIM ist eines der ersten Vereinsmitglieder gewesen.

L (zu den NM 1-4 und PIM): Sagt mal gemeinsam: Wir haben damals in der Vereinssatzung eine Lücke gelassen.

Sie sagen es.

L (zu den NM 1-4 und PIM): Sagt weiter: Wir haben die gemeinsame Verantwortung dafür.

Sie wiederholen es.

L (zu den NM 1-4): Die Verantwortung für die Privatinsolvenz lassen wir bei ihm.

Sie sagen es.

L (zu PIM): Die Verantwortung für die Privatinsolvenz ist voll und ganz bei mir.

Er sagt es.

L (zu den NM 1-4 und PIM): Könnt ihr damit sein?

Alle nicken, auch die Gruppenseele.

L: Dann lasse ich es hierbei.

Wir beenden die Aufstellung.

 

© Daniel Schmid - Fotolia.com
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Die Gründe für die Privatinsolvenz sind eine persönliche Angelegenheit, die von dem Betroffenen in einer eigenen Aufstellung beleuchtet werden kann.

Sie gehen jedoch die Gruppe nichts an.

Wichtig hierbei war, dass die Gruppe das privatinsolvente Mitglied mehr oder minder ausgeschlossen hat.

Und nicht nur das: im wurde auch die Verantwortung für die Lücke in der Vereinssatzung allein angekreidet.

Deshalb war es wichtig, die Verantwortlichkeiten (Realitäten) zu klären.

Die Gruppenseele hat auf den indirekten Ausschluss des Mitglieds wie eine Familie auf ein ausgeschlossenes Familienmitglied reagiert: mit Verwirrung und Unsicherheit, später bei der offenen Aggression mit Schmerz.

In Familien hat jeder grundsätzlich dauerhaft das gleiche Recht auf Zugehörigkeit (es kann nur in Extremfällen verspielt werden).

In Organisationen gilt das Recht auf Zugehörigkeit nur temporär – solange, bis das Mitglied der Organisation von selbst ausscheidet oder sich etwas hat zuschulden kommen lassen, was einen Ausschluss rechtfertigt.

Das war in diesem Beispiel aber nicht der Fall.

Es gab keinen offiziellen Vereinsausschluss.

Es hatte eher den Anschein, als wollte man die Mitverantwortung an der Lücke leugnen und das privatinsolvente Mitglied zum alleinigen Sündenbock machen.

Solche Gruppendynamiken kommen leider häufiger vor, als man denken würde.

Der richtige Umgang mit Fehlern und unschönen Ereignissen erfordert einen verantwortlichen und reifen Geist.

An der Gruppenseele kann man sehr gut ablesen, ob ein solcher Geist in der Gruppe herrscht.

Es wird immer Probleme und Herausforderungen in Gruppen geben – wichtig ist, wie mit ihnen umgegangen wird.

Die Gruppenseele fungiert als Seismograf des vorherrschenden Umgangs in der Gruppe.

Insofern ist es eine wertvolle Möglichkeit, diesen transparent zu machen.


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