Geistige Familienaufstellung: Bei einem Familiengeheimnis ein guter Ansatz

© Voyagerix - Fotolia.com
© Voyagerix – Fotolia.com

„Ich komme an einem bestimmten Punkt nicht mehr weiter bei meinen Aufstellungen“, sagt Britta während des Vorgespräches.

„Und dabei geht es um ein Familiengeheimnis.“

„Vielleicht ist jetzt nicht die Zeit, da heranzugehen …“, gebe ich zu bedenken.

„Kann sein, aber mein vierjähriger Sohn bekommt alles ab und hat schon das dritte Mal dieses Jahr eine Lungenentzündung. Ich will ihm helfen.“

„Es gibt da die Möglichkeit einer geistigen Familienaufstellung – ohne Worte, ohne Erklärungen, nur Bewegungsimpulse und im Vertrauen auf das geistige Feld. Könntest du dem in einer Haltung von Demut und Annahme beiwohnen ohne zu interpretieren, zu urteilen oder zu hinterfragen?“

„Ich werde es meinem Sohn zuliebe versuchen …“

Unterschiede zwischen klassischem und geistigen Familienstellen

Das geistige Familienstellen, manchmal auch stilles Familienstellen, Bewegungen des Geistes, das neue Familienstellen oder Gehen mit dem Geist genannt, wird von Bert Hellinger und Nachfolgern seit 2006 angewendet und gelehrt.

Anders als beim klassischen oder systemischen Aufstellen braucht der Aufstellungsleiter nur sehr wenig Informationen vonseiten des Klienten.

Der Leiter verbindet sich mit dem geistigen Feld und wählt dann selbst intuitiv Stellvertreter aus – nicht der Klient.

Diese bewegen sich nun sehr langsam, indem sie ihren inneren Bewegungsimpulsen folgen.

Der/die Klient/in sollte den Bewegungen mit offenem Geist folgen und – wie oben schon bei Britta geschrieben – dabei im Idealfall in einer inneren Haltung des neutralen, nicht wertenden Beobachtens verharren.

Nur selten greift der Aufstellungsleiter in das Geschehen ein.

Manchmal führt er eine Begegnung vermeidende Stellvertreter zusammen, manchmal stellt er noch einen fehlenden Stellvertreter dazu, manchmal nimmt er den/die Klienten/in selbst hinein.

Solche Aufstellungen können ‚offen‘ bleiben oder ‚unvollendet‘ wirken.

Der Leiter entscheidet selbst, wann die Aufstellung beendet ist.

Hier noch einmal stichwortartig die Unterschiede zum klassischen Familienstellen:

– wenig Informationen

– Leiter wählt Stellvertreter aus

– es wird wenig oder am besten gar nicht gesprochen

– wenig Eingreifen oder Interventionen des Leiters

– Aufstellungen können offen und unvollendet bleiben

– Leiter legt Ende der Aufstellung intuitiv fest

 

Die Haltung des Aufstellenden zu dem Geschehen in der Aufstellung sollte:

– beobachtend

– mit offenem Geist

– nicht wertend/urteilend

– nicht hinterfragend/neugierig

– möglichst neutral

sein.

 

Geeignete Fragestellungen für das geistige Familienstellen

Wann ist das geistige Familienstellen eine gute Option?

Jetzt würden viele Anhänger Hellingers antworten: „Immer!“

Ich habe selbst fast drei Jahre nur mit geistigem Familienstellen gearbeitet und habe für mich festgestellt, dass es mir nicht immer so sinnvoll erscheint.

© Smileus - Fotolia.com
© Smileus – Fotolia.com

 

Gut geeignet für die Anwendung des geistigen Familienstellens erscheinen mir:

– wenn es ein Familiengeheimnis gibt (siehe Brittas Aufstellung)

– bei einer Blockade Kopf zu Herz, Nicht-Wahrhaben-Wollen

– bei Ereignissen im größeren Rahmen (Völkerverständigung, Versöhnung, Aussöhnung etc.)

– Aufdeckung von Traumata

Das Nicht-Wahrhaben-Wollen kann durch das Sehen der geistigen Aufstellung abgemildert werden, oft sogar ganz verschwinden.

Die geistige Aufstellung wirkt irgendwie am inneren Zensor vorbei direkt auf das Herz und umgeht dadurch die Kopf-Herz-Blockade.

Ein geschultes Auge erkennt (unentdeckte) Traumata relativ leicht beim geistigen Familienstellen. Es kommt fast immer zu Vermeidungsreaktionen und die Aufstellung geht ohne Traumaarbeit weiter. Die Traumapunkte können dann in weiteren Aufstellungen angegangen werden.

Zuletzt noch zu den Ereignissen in einem größeren Rahmen.

Hier liegt die besondere Stärke des geistigen Familienstellens.

2009 durfte ich eine Woche lang in Breslau/Polen an Aufstellungen zur Deutsch-Polnisch-Jüdischen Versöhnung teilnehmen, die Gerhard Walper im Rahmen seiner beiden Ausbildungsgruppen – eine aus Deutschland, eine aus Polen – veranstaltet hat. In diesem Zusammenhang waren wir alle zusammen im Vernichtungslager Ausschwitz-Birkenau und in einer wiederaufgebauten Synagoge. Die Erfahrungen, die ich in dieser Woche erleben durfte, gehören zu den tiefsten meines Lebens. Großen Anteil daran haben die geistigen Aufstellungen zu den Themen Krieg, Versöhnung und Völkerverständigung. Ich bin Gerhard Walper und dem Schirmherrn Bert Hellinger sehr dankbar, dass ich diese Erfahrungen machen durfte.

Brittas Aufstellung

Nachdem Britta sich in die Beobachterrolle begeben hatte, stellte ich mit innerer Sammlung vier Stellvertreter auf – zwei Frauen und zwei Männer.

© ylivdesign - Fotolia.com
© ylivdesign – Fotolia.com

Frau 1 und Mann 1 sahen sich liebevoll an und gingen immer wieder langsam aufeinander zu und wendeten sich kurz voreinander wieder ab. Das passierte insgesamt drei Mal.

Frau 2 stand am Rand des Stuhlkreises und schaute etwas verloren in die Mitte des Raumes.

Mann 2 stand Frau 2 gegenüber und ging auf der anderen Seite des Stuhlkreises langsam auf und ab und schaute dabei auch immer wieder in die Mitte des Stuhlkreises.

Ich bitte einen weiteren Stellvertreter (Mann 3), sich in der Mitte auf den Boden zu legen.

Plötzlich kommt Bewegung in die zuvor starre Frau 2. Sie verzieht schmerzerfüllt das Gesicht und geht langsam auf Mann 3 zu.

Auch Mann 2 stoppt das Auf und Ab und kommt näher zu Mann 3.

Frau 1 und Mann 1 bleiben nebeneinander stehen und schauen gemeinsam zu Mann 3 auf dem Boden.

Frau 2 kniet bei Mann 3 und legt dann ihren Kopf auf seine Brust. Sie weint dabei.

Mann 2 bleibt 1m vor Mann 3 und Frau 2 stehen und verzerrt wütend das Gesicht.

Nach einiger Zeit wendet sich Mann 2 mit wütendem Gesicht ab und geht langsam Richtung Mann 1 und Frau 1 und ‚versteckt‘ sich hinter diesen.

Frau 2 legt sich jetzt neben Mann 3 und die beiden schauen sich lächelnd an.

Beide schließen nach einiger Zeit die Augen.

Es folgen keine Bewegungsimpulse mehr und ich beende die Aufstellung.

 

Nachwort statt einer Interpretation

Was in dieser geistigen Aufstellung zu sehen war, erschließt sich in seiner Gänze nur jemanden, der alle Fakten hätte.

Das ist aber auch nicht nötig.

Wichtig war, dass Britta alles mit offenem Geist ansehen konnte.

Das Familiengeheimnis ist weiterhin geschützt und doch hat es seine Blockadewirkung auf Britta (und ihren Sohn) verloren, denn sie konnte es in ihr Herz aufnehmen.

Wer wer in der Aufstellung war und was die wahren Begebenheiten waren, ist nicht mehr wichtig.

Eventuell war jemand ausgeschlossen oder der Tod eines Vorfahren war so schlimm für die Familie, dass es zu einem Bruch im Familiensystem kam – wir wissen es nicht und Britta hat nicht die Möglichkeiten, es herauszufinden.

 

Nach einiger Zeit meldete sich Britta bei mir und erzählte, dass ihr Sohn Leon seit der Aufstellung nicht mehr krank war und viel lebendiger auf sie wirke.

Sie nahm es als Geschenk an und blieb dabei, das Gesehene nicht zu hinterfragen.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert