Vom Dramadreieck zum Schöpfungsdreieck

© alphaspirit - Fotolia.com
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„Ich habe letzte Woche erst Stress mit meinem Chef gehabt und dann zuhause mit meiner Freundin. Dann kriege ich noch eine gemeine Abbuchung von der Versicherung. Alles hat sich gerade gegen mich verschworen …“, klagt Harald.

„Sieht so aus, als hältst du dich gerade in einigen Dramadreiecken auf, oder?“

„Was ist denn ein Dramadreieck …?“

Die vier Grundeinstellungen der Transaktionsanalyse und das Dramadreieck

Nach der Transaktionsanalyse gibt es die folgenden Grundeinstellungen:

Ich bin OK, du bist OK.

Ich bin nicht OK, du bist nicht OK.

Ich bin OK, du bist nicht OK.

Ich bin nicht OK, du bist OK.

In Beziehungen zu den Menschen kommen alle vier vor, aber die einzig gesunde Einstellung ist die Erste: Ich bin OK, du bist OK.

Die drei anderen führen zu ungesunden Beziehungen mit Abhängigkeitsmustern und Spielen im Dramadreieck.

Dramadreieck

Der von Stephen Karpman geprägte Begriff Dramadreieck lässt sich am Besten an einem Beispiel erklären:

In einer Straßenbahn streitet sich ein Ehepaar und irgendwann beginnt der Mann (Verfolger) seine Frau zu schlagen (Opfer). Ein anderer Fahrgast (Retter) mischt sich ein, um der Frau zu helfen, indem er den Mann festhält. Plötzlich schreit die Frau den Fahrgast an, ihren Mann in Ruhe zu lassen. Jetzt ist die Frau die Retterin ihres Mannes (Opfer), der durch den Fahrgast (Verfolger) festgehalten wird.

Das ist typisch für das Dramadreieck. Die Rollen Verfolger, Opfer und Retter können ständig wechseln und das Ganze bekommt den Charakter eines Spiels. Allerdings ist der Sog dieses Spieles sehr stark und im gesellschaftlichen Kontext allgemein akzeptiert. Sich als Opfer von x zu sehen (wobei x sowohl Umstände als auch Personen sein können), ist weit verbreitet. Retter werden gefeiert, Verfolger verteufelt. Und die Retter von heute können morgen die Verfolger oder Opfer sein usw. usw.

In Beziehungen zu unseren Mitmenschen ist es wichtig, dass wir frühzeitig erkennen, dass wir in ein Dramadreieck geraten (sind).

Wie?

Indem wir uns immer wieder folgende Fragen in Konfliktsituationen stellen:

– Fühle ich mich gerade als Opfer oder Täter (Verfolger)?

– Ist der andere wie ein Retter für mich?

– Will ich den anderen ‚retten‘?

– Spüre ich das Bedürfnis, den anderen zu verletzen bzw. mich zu rächen?

– usw.

Wenn wir eine diese Fragen mit JA beantworten, müssen wir uns darum bemühen, innerlich einen Schritt zurückzutreten und STOPP zu sagen.

Denn ein Dramadreieck ist ein endloses Spiel mit permanenten Rollenwechseln. Hier kann es nie zu konstruktiven Lösungen kommen.

Das erfordert von uns einen gewissen Grad an Bewusstheit über diese Mechanismen.

In Aufstellungen verhindert das Dramadreieck den Weg zu echten Lösungen. Alle Beteiligten müssen zuerst vom Aufstellungsleiter dahin gebracht werden, wie reife Erwachsene zu denken, zu fühlen und zu handeln. Erst dann kann es zu echten Lösungen kommen.

Das Schöpfungsdreieck

In den letzten Jahren kam zu dem relativ alten Raus aus dem Dramadreieck eine neue, sehr elegante Intervention hinzu: Vom Dramadreieck ins Schöpfungsdreieck.

Wenn wir uns das Schöpfungsdreieck als Spiegelung des Dramadreiecks vorstellen, können wir schon erahnen, wohin die Reise geht.

Schöpfungsdreieck&Dramadreieck

Statt sich einen Retter zu suchen, ermuntern die Familiensteller die Klienten, sich eine Art Lehrer zu suchen, der ihnen Hilfe zur Selbsthilfe gibt. Gerettet werden führt nicht zu einer Veränderung, gelehrt zu werden, hat ein großes Veränderungspotenzial.

Statt von Umständen oder anderen Menschen „verfolgt“ zu werden, nimmt man die Situation als Wachstumschance an und stellt sich der Herausforderung, die die Menschen oder Umstände mit sich bringen.

Der wichtigste Schritt ist vom Opfer zum (Mit)Schöpfer zu werden. Gelingt dieser Schritt, kann sich ein ganz neues Lebensgefühl etablieren.

Wie wird man (Mit)Schöpfer?

Mit der Seele in Kontakt treten und daraus kreativ tätig werden.

Beispielsweise kann eine Frau, die Missbrauch erleiden musste – wie meine geschätzte Kollegin Beatrice Lührig –, ein Buch über ihre Erfahrungen schreiben (wie sie es auch getan hat –> hier auf Amazon).

Man kann auch ein Bild malen oder sonstwie tätig werden. Wichtig ist nur, dass man tätig wird und dass es im Einklang mit der Seele ist.

In Aufstellungen wird an dieser Stelle (mindestens) eine Ressource gesucht, mit der der Klient in eine Schöpfungsrolle kommen kann. Als Ressourcen gut geeignet sind z. B. Humor, Begeisterungsfähigkeit, Geduld, Ausdauer, Gefühl für Ästhetik usw.

Hat der Klient dann eine (oder mehrere) Ressourcen gefunden, die seine Schöpfungstätigkeit unterstützen, braucht er oder sie nur noch regelmäßig tätig zu werden. Mit der Zeit werden die Schöpfungserfahrungen auf dem einen Gebiet in andere Gebiete übertragen: in die zwischenmenschlichen Beziehungen, ins Arbeitsleben, in Hobbys usw.

Fast am Anfang unmerklich geht mit dem Schöpfertum eine immer größere Lebenszufriedenheit einher: Beziehungen gewinnen an Tiefe, die Qualität der Arbeit wird besser, der Körper fühlt sich besser an …

© Sandor Kacso - Fotolia.com
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Es kann trotzdem hin und wieder vorkommen, dass ein/e (Mit)Schöpfer/in in das Dramadreieck gerät. Doch erkennt man es jetzt viel schneller und kann sich auch viel schneller daraus herausbegeben.

Hilfreich ist dabei ein/e Lehrer/in (z. B. Familiensteller/in), der einem immer wieder hilft, Dramadreiecke zu erkennen und zu verlassen.

Herausforderungen und Entwicklungsschritte können auch proaktiv gesucht werden, um seelisch zu reifen. Das kann durch Ausprobieren oder durch das bewusste Suchen von Erfahrungen geschehen. Man kann beispielsweise ein Retreat besuchen oder z. B. reiten lernen.

Wenn man beide Methoden beherrscht, das Dramadreieck zu verlassen – „aufwachen“ und ins Erwachsenbewusstsein wechseln und (Mit)Schöpfer werden –, lösen sich viele Probleme in Luft auf.

Fundamentale Probleme wie Traumata werden ebenfalls erleichtert und können besser aufgelöst werden. In meiner Traumaarbeit erkläre ich die beiden Dreiecke immer wieder, weil der Teil in Betroffenen, der sich dem Trauma nicht stellen will, der Überlebensanteil – siehe Beitrag zu Trauma), gern Dramadreiecke benutzt, um vom Heilungsweg abzulenken.

Fazit:

In das Schöpfungsdreieck einzutreten ist ein hilfreicher Weg, um Dramadreiecke zu verlassen. Lebensqualität und Zufriedenheit steigen erheblich, wenn man zum/r (Mit)Schöpfer/in wird.


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Kommentare

4 Antworten zu „Vom Dramadreieck zum Schöpfungsdreieck“

  1. Avatar von Dunja

    Hallo Marc,

    vielen Dank für die Erläuterungen, die sehr gut nachzuvollziehen sind! Auch in Bezug auf das Schöpfungsdreieck, das ich bisher noch nicht kannte, aber so gut ich kann bereits lebe.
    Ich finde die Arbeit mit dem Dramadreieck extrem spannend, da gibt es noch viel mehr zu entdecken – vielleicht hast du ja Lust, diesen Beitrag um andere zu erweiteren 🙂

    Liebe Grüße
    Dunja

    1. Avatar von OCABM
      OCABM

      Gern bei Gelegenheit.

      LG und namaste

      Marc

  2. Avatar von Beatrice

    Wie immer gut erklärt, Marc. Ich habe Deinen Artikel schon in meine geplanten Posts auf Facebook eingebaut. Sehr wertvoll.

    Liebe Grüße an Dich
    Beatrice

    1. Avatar von OCABM
      OCABM

      Gern geschehen und danke!

      Liebe Grüße zurück

      Marc

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