„Ich habe immer das Gefühl, mich dafür rechtfertigen zu müssen, dass ich keine Kinder habe. Nicht nur bei meiner Mutter, sondern auch bei Kollegen und Freunden …“
„Was ist das für ein Gefühl genau – kannst du es näher beschreiben?“
„Naja … es ist vielleicht so wie nicht dazuzugehören oder … wie als Teenager noch keinen Freund gehabt zu haben …“
„Bist du zu einem kleinen Experiment bereit …?“
Kristina ist eine 40jährige Projektmanagerin im Softwarebereich. Sie ist viel unterwegs bei Kunden und zur Akquise von Aufträgen. Seit 15 Jahren ist sie glücklich mit ihrem Mann Dieter verheiratet, der einen ähnlichen Job in der gleichen Firma hat.
Beide gehen ganz in ihrer Arbeit auf und wollten nie Kinder haben.
Das Experiment
Ich schlage Kristina vor, in der Aufstellung ihrem hypothetischen Kind zu begegnen und dann zu schauen, was passiert.
Sie ist einverstanden.
Da Kristina selbst in der Aufstellung ist, brauchen wir nur noch einen Stellvertreter für das hypothetische Kind.
Sie wählt einen jungen Mann als ihren Sohn aus und stellt ihn sich gegenüber.
Abbildung 1: Anfangsbild
K = Kristina, hS = hypothetischer Sohn
Kristina stellt ihren Sohn relativ weit weg ihr gegenüber. Beide schauen sich mit einer „vorsichtigen Neugier“ an, wie sie übereinstimmend berichten.
L = Leiter der Aufstellung, andere Abkürzungen wie oben.
L (zu K): Möchtest du mal etwas näher zu deinem Sohn gehen?
K: OK …
Sie geht ein, zwei Schritte auf ihn zu.
L (zu K): Wie geht es dir jetzt, wenn du näher bist.
K: Etwas aufgeregt …
L (zu S): Was ist bei dem Sohn?
S: Ich freue mich. Darf ich mich auch bewegen?
L (zu S): Ja, aber ganz langsam.
Der Sohn geht langsam drei Schritte auf Kristina zu.
L (zu K): Wie geht es dir jetzt, wo dein Sohn dir entgegenkommt?
K: Mir ist da etwas mulmig …, aber es ist auch Freude dabei.
L: Folgt mal beide euren Bewegungsimpulsen …
Beide gehen ganz langsam aufeinander zu. Schließlich stehen sie nahe beieinander und berühren sich an den Händen.
L (zu K): Möchtest du mal ausprobieren, wie es sich anfühlt, deinen Sohn auf deinem Schoß liegend zu haben – ganz wie eine Mutter?
K: Ja!
Kristina setzt sich auf den Boden und der Sohn legt sich vor sie mit dem Kopf in ihrem Schoß gebettet.
Abbildung 2: Zwischenbild 1
L (zu K): Wie fühlt sich das für dich an?
K: Schön …
Sie streichelt den Kopf des Sohnes zärtlich und einige stille Tränen laufen ihr über die Wangen.
L (zu S): Wie geht es dem Sohn?
S: Wunderbar! Ich bin jederzeit bereit zu kommen.
L: OK. Spürt da mal rein.
Ich gebe ihnen ein paar Minuten, um das Gefühl ganz in sich aufzunehmen.
L: Ich stelle jetzt einen Stellvertreter hinein, von dem ich nicht sage, was es ist.
Abbildung 3: Zwischenbild 2
Ich wähle einen weiblichen Stellvertreter (?) aus und stelle ihn links von Kristina.
Dann bitte ich Kristina aufzustehen.
L (zu K): Wenn du da mal hinspürst, Kristina – wie geht es dir dann?
K: Mmmh … ich fühle einen inneren Zug dahin. Fast so wie zu meinem Sohn – ist das meine Tochter?
L (zu K): Vielleicht … Folge mal deinem Bewegungsimpuls …
Kristina geht einen Schritt auf (?) zu und will ihren Sohn dazu bewegen mitzukommen. Der will aber nicht und bleibt stehen.
Trotzdem geht sie langsam weiter zu (?) und nimmt die Stellvertreterin schließlich in die Arme. Dann drehen sich beide dem Sohn zu.
Abbildung 4: Zwischenbild 3
L (zu K): Wie geht es dir, wenn du neben (?) stehst und auf deinen Sohn schaust?
K: Sehr gut. Am Anfang fand ich es schade, dass mein Sohn nicht mitkam, aber jetzt ist es ganz OK so. Ich fühle mich sehr wohl neben (?).
L (zu K): Interessant – (?) steht für dein Leben ohne Kinder …
K: Oh …
L (zu K): Dein geht jetzt rückwärts laufend ganz langsam aus dem Kreis heraus und schaut dich dabei an. Außerhalb des Stuhlkreises ist jetzt das Feld der Möglichkeiten, innerhalb die „Realität“. Schau mal, was da bei dir passiert, wenn er das macht.
Der Sohn geht wie beschrieben langsam zum Rand des Kreises. Kristina schaut ihm erst teilnahmslos zu. Als er am Rand des Stuhlkreises ist, fließen wieder ein paar stille Tränen.
L (zu K): Wenn es für dich stimmig anfühlt, geh doch mal zum Rand des Stuhlkreises und verabschiede dich von deinem Sohn.
K: Oh, ja …
Sie geht dorthin.
Abbildung 5: Zwischenbild 4
Kristina umarmt nochmals ihren Sohn.
L (zu K): Ich gebe dir jetzt ein paar Sätze vor. Wenn sie für dich stimmig sind, kannst du sie – am besten mit deinen eigenen Worten – aussprechen.
„Danke, dass ich dich fühlen durfte, mein hypothetischer Sohn!“
Sie sagt es.
L (zu K): „Ich habe mich in diesem Leben für ein kinderloses Leben entschieden.“
Sie wiederholt es.
L (zu K): „Meine Tränen sind Ausdruck der Trauer für unser gemeinsam verpasstes Leben.“
Als sie es sagt, fließen bei ihr vermehrt Tränen.
L (zu K): „Ich lass dich ziehen und bin mir des Verlustes dieser Erfahrung voll und ganz bewusst.“
Sie sagt es.
L (zu K): „Ich gehe jetzt gleich zu meinem kinderlosen Leben und genieße es im Angesicht dieser Erfahrung hier in dieser Aufstellung.“
L (zu S): Geh jetzt aus dem Kreis und bleibe so in vier Schritten Entfernung stehen.
L (zu K): Geh du jetzt zu deinem kinderlosen Leben.
Sie läuft zu (?) zurück und schaut noch einmal zu ihrem Sohn, der jetzt außerhalb des Stuhlkreises steht.
L (zu K): Dreht euch jetzt alle in die entgegengesetzte Richtung, also du und das kinderlose Leben schauen zur Wand – das ist eure Zukunft und der Sohn zur andern Wand.
Sie tun es.
Abbildung 6: Schlussbild
L (zu K): Spür da noch einmal rein, nimm das kinderlose Leben neben dir war. -Ich würde es jetzt so stehen lassen.
Wir beenden die Aufstellung.
Nachbetrachtung
In dieser Aufstellung hat sich gezeigt, dass Kristina stimmig mit ihrem kinderlosen Leben ist. Um zu den inneren Unfrieden zu überwinden, der ihr im Außen zum Beispiel durch ihre Mutter gespiegelt wurde, bedurfte es dem „aktiven“ Betrauern der Nicht-Mutterschaft.
Erst jetzt kann sie – innerlich im Frieden mit sich – ihrer Mutter begegnen und zur Kinderlosigkeit stehen.
Zusätzlich kann sie jetzt auch ihr Leben voll und ganz genießen, da sie mit sich jetzt im Reinen ist.
Schreibe einen Kommentar