Die Wunderfrage – Ein Mal richtig fühlen, wie es ist, kein Problem zu haben

© pagnacco - Fotolia.com
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Björn ist halb Schwede, halb Deutscher und in Schweden aufgewachsen.

Mit 16 Jahren ist er zu seinem Vater nach Deutschland gezogen und hat hier seine Mittlere Reife gemacht.

„Ich fühle mich irgendwie unwohl, glaube aber nicht, dass es an Deutschland an sich liegt … ich kann es irgendwie nicht fassen …“

„Wie zeigt sich dein Unwohlsein? Was löst es aus?“

„Zum Beispiel ist mir hier alles zu eng und laut. Ich muss in einem Hochhaus wohnen, wo ich jeden Pups meiner Nachbarn höre. Die Deutschen reden so viel, wohingegen die Schweden eher wortkarg sind …“

„OK. Warte mal. Wärest du mit einem kleinen Experiment einverstanden?“

„Ja …“

„Wenn du magst, schließe bitte einmal deine Augen.

Stell dir vor, du gehst schlafen und über Nacht verschwindet durch ein Wunder das ganze Gefühl des Unwohlseins.

Als du aufwachst, merkst du, dass etwas anders ist.

Woran würdest du erkennen, dass das Wunder eingetreten ist …?“

„Also ich wache auf und … höre – nichts. Es ist ruhig und ich beginne ganz entspannt den Tag.

Ich blicke aus dem Fenster und um mein Haus herum sind Wald und Felder – kein anderes Haus in Sichtweite.

Das ist einige Tage so, bis ich irgendwann von selbst Lust habe, auf andere Menschen zuzugehen. Vielleicht freue ich mich sogar, wieder mit Menschen zusammenzukommen …“

„OK. Komme jetzt langsam ins Hier und Jetzt zurück. Ganz in deinem Tempo. Wenn du soweit bist, öffne langsam die Augen.

An was haben dich Wald und Felder erinnert?“

„An Schweden.“

„Und die Menschen?“

„An Deutschland.“

„Musstest du nach Deutschland kommen?“

„Nein, ich wollte hierher zu meinem Vater. Meine Mutter hat mich ungern gehen lassen.“

„Lass uns mit der Aufstellung beginnen. Wähle jemanden für dich, deinen Vater, deine Mutter, Schweden und Deutschland …“

 

Die Wunderfrage im Vorgespräch

© simonalvinge - Fotolia.com
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Die Wunderfrage ist eine von Stephen de Shazer mit entwickelte und von Insa Sparrer für Strukturaufstellungen verfeinerte therapeutische Maßnahme, um den Klienten weg von der Problemsicht hin zu einer Lösungsfokussierung zu bringen (siehe ausführlich hier im Buch von Insa Sparrer auf Amazon: KLICK! (Affiliate Link)).

Ursprünglich für eine Einzelsitzung konzipiert hat sich die Wunderfrage als gutes Mittel in einem Vorgespräch einer Aufstellung erwiesen, wenn der Ratsuchende nur ein diffuses Gefühl seines Anliegens hat oder noch viel Unklarheit herrscht.

Anhand der Antworten, was alles anders ist, ergeben sich meist gute Ansatzpunkte und Ausgangspunkte für die folgende Aufstellung.

Zusätzlich hat der Klient für kurze Zeit den Hauch einer Ahnung bekommen, wie es ist, wenn das Problem gelöst ist. Wie es sich dann lebt, anfühlt, ist usw.

Dieses „So-Tun-Als-Ob“ ist eine wichtige Erfahrung und kann allein schon zu einem Shift (eine plötzliche Veränderung der Sichtweise durch ein Aha-Erlebnis) führen.

Ich benutze eine verkürzte Form der Wunderfrage (eigentlich: Wundergeschichte), um schneller auf den Punkt zu kommen (siehe oben und unten das Beispiel von Björn).

Meiner Meinung nach bringt die Lösungsfokussierung allein noch nicht so viel.

Wichtig ist es, an die Ursache des Problems zu kommen und es zu lösen oder neu zu bewerten und sich mit ihm in irgendeiner Form zu arrangieren.

 

Björns Aufstellung

Björn wählt Stellvertreter für sich (B), seinen Vater (V), seine Mutter (M), Deutschland (D) und Schweden (S).

Es ergab sich folgendes Anfangsbild:

Björn 1

Abbildung 1: Anfangsbild

Björn steht zwischen seinen Eltern in der „Schusslinie“ mit dem Blick durch Deutschland und Schweden hindurch.

L=Leiter der Aufstellung, sonstige Abkürzungen wie oben

L (zu B): Wie geht es dir an diesem Platz?

B: Alles ist schwer und ich fühle mich irgendwie zerrissen. Ich schaue abwechselnd auf Deutschland und Schweden, aber kann mich nicht entscheiden.

L (zu B): Musst du dich entscheiden?

B: Irgendwie fühlt es sich so an. Es gibt irgendeine Art von Druck.

L: OK. Bleib mal so stehen. Ich befrage noch die anderen.

Bei der Befragung der Stellvertreter und Björn selbst kommt heraus, dass die Mutter noch wütend auf Björns Vater ist, weil er sie wegen einer Deutschen verlassen hat, als Björn 13 Jahre alt war.

Björns Vater war so oft wie möglich in Schweden, um seinen Sohn zu sehen und Björn durfte einen großen Teil der Schulferien bei seinem Vater in Deutschland verbringen.

L (zu B): An welchem Platz in der Aufstellung würde es sich für dich besser anfühlen?

Björn geht langsam zu verschieden Positionen, bis er zwischen Schweden und Deutschland bleibt.

B: Hier geht es mir am besten.

Björn 2

Abbildung 2: Zwischenbild

Bei der folgenden Prozessarbeit mit den Eltern ist kein Versöhnungswille seitens der Mutter zu erkennen. Schließlich sind aber beide bereit, ihren Streit hinanzustellen, um ihrer Elternrolle gerecht zu werden.

L (zu M): Sag deinem Exmann mal „Egal, was zwischen uns in der Rolle als Paar vorgefallen ist, wir sind immer noch die Eltern unseres einzigen Kindes Björn.“

Die Mutter wiederholt es. Danach auch der Vater.

M&V (gemeinsam): Björn, du bist und bleibst unser Kind. Was zwischen uns vorgefallen ist, geht dich nichts an. Wir sind und bleiben deine Eltern. Mach etwas aus deinem Leben. Du hast unseren Segen.

L (zu M): Kannst du Björn sagen, dass es für dich OK ist, wenn er in Deutschland in der Nähe seines Vaters ist.

M: Ja … auch wenn es noch etwas schwer für mich ist: „Björn, es ist OK, wenn du bei deinem Vater bzw. in seiner Nähe in Deutschland bist.“

Björns Stellvertreter und Björn selbst im Stuhlkreis atmen hörbar aus.

Schließlich kommt es zu folgendem Endbild:

Björn 3

Abbildung 3: Endbild

Vater und Mutter stehen mit etwas Abstand ihrem Sohn gegenüber.

Deutschland ‚verbindet‘ Björn und seinen Vater miteinander.

Schweden ‚verbindet‘ mit etwas Abstand Björn mit seiner Mutter.

Beide Elternteile schauen wohlwollend auf ihren Sohn.

Damit beenden wir die Aufstellung.

 

Nachbetrachtung

Björn befand sich hier in einem Loyalitätskonflikt zwischen seiner Mutter und seinem Vater. Da er zu seinem Vater gegen den Willen der Mutter gegangen ist, hat er sich unbewusst selbst bestraft, indem er sich in Deutschland ‚unwohl‘ fühlte. Das Wohlfühlen war mit Schweden, das wiederum ein Symbol für Mutter oder ‚heile Kindheit‘ stehen könnte, verbunden.

Wichtig war hier, dass die Mutter ihren Groll nicht mehr auf ihren Sohn projizierte und ihm sein Leben in Deutschland zugestand.

Die Wunderfrage am Anfang hat Björn ein erstes „Sowohl-Als-Auch“ über ein „So-Als-Ob“ fühlen lassen: sowohl mit seinem Vater als auch mit seiner Mutter ohne Schuldgefühle verbunden zu sein.

Insofern kann die Wunderfrage wie ein Katalysator Reaktionen in einer Aufstellung erleichtern, die zuvor undenkbar/unfühlbar oder gar unmöglich erschienen.


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