Häusliche Gewalt gegen Frauen – Wenn der Täter neben dir im Bett liegt

© Miriam Dörr - Fotolia.com
© Miriam Dörr – Fotolia.com

Unter Tränen berichtet Lenka: „Am schlimmsten ist es für mich, wenn er mich vor den Kindern schlägt. Ich laufe dann schnell in den Keller, damit die Kinder es nicht mit ansehen müssen.“

„Gab es Gewalt auch zwischen deinen Eltern?“

„Ja, vor allem, wenn mein Vater was getrunken hatte …“

„Und auch bei deinen Großeltern?“

„Ja, meine Oma hatte öfter mal ein Veilchen …“

„Gut, hier müssen wir vielleicht etwas weiter ausholen …“

Die Zahlen der Statistik sind immer noch alarmierend

„Rund 25 Prozent der Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren haben mindestens einmal in ihrem Leben körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch Beziehungspartnerinnen und Beziehungspartner erlebt. Dies zeigt die 2004 veröffentlichte repräsentative Studie >Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland< … […] … Zwei Drittel der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen haben schwere oder sehr schwere körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlitten …“ (Quelle: Bundesministerium für Familie http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=73010.html ).

Das sind nur die offiziellen Zahlen von 2014 – mit einer erheblichen Dunkelziffer ist zu rechnen.

Ich möchte hier noch besonders auf die Hilfewebseite http://www.hilfetelefon.de/aktuelles.html und das Hilfetelefon unter der Nummer 08000 116 016 speziell hinweisen – bitte nimm als Betroffene diese Hilfe in Anspruch!

Scheinbar haben sich die Zahlen seit der Steinzeit nicht besonders geändert …

Die Hintergründe aus Sicht des Familienstellens: Gewalt von Männern gegen Frauen in der Ehe kann viele verschiedene, aber auch mehrere Ursachen haben

  1. Identifikation mit Täter

    © etfoto - Fotolia.com
    © etfoto – Fotolia.com

Der Mann ist mit jemandem aus seinem System über eine Identifikation verstrickt und handelt wie der Täter.

Die Frau ist hier eher das naheliegende Opfer – es könnte auch Kinder oder andere treffen.

  1. Identifikation mit Opfer

Die Frau ist mit einem Opfer aus ihrem Familiensystem oder aus ihrem systemischen Kontext identifiziert. Der systemische Kontext lässt sich wie folgt an einem Beispiel erklären:

Der Großonkel der Frau war z. B. ein Nazi in leitender Position, der im Rahmen der „Blutreinhaltung“ Sinti und Roma getötet hat. Besonders eine Roma-Frau hat er lange und brutal selbst gequält. Diese gehört durch dieses besondere Täter-Opfer-Verhältnis in den systemischen Kontext der Familie der oben erwähnten Frau. Um an das Schicksal dieser Roma-Frau zu erinnern und für Ausgleich zu sorgen, deutet das Familiengewissen die Frau heraus und verstrickt sie über eine Identifizierung mit der Roma.

  1. Trauma des Mannes und/oder der Frau

Ein traumatisierter Mann kann als Kompensation Gewalt gegen seine Frau entwickeln, wenn sie ihn unbewusst immer wieder triggert. Generell ist Gewalt eine häufige Strategie, die vom eigenen Trauma ablenkt. Gleichzeitig ist es meist eine Reinszenierung der Grenzüberschreitung beim Mann, die zum Trauma führte.

Bei einer traumatisierten Frau kann Gewalt seitens des Mannes einerseits (unbewusst) willkommene Aufmerksamkeit sein, andererseits kann der Mann Erfüllungsgehilfe der inneren Selbstabwertung der Frau sein (die durch das Trauma ausgelöst wurde).

Dies kann hier nur als vereinfachte Erklärung stehen. Die wahren Zusammenhänge sind meist komplexer und komplizierter.

  1. Mangelnde Achtung des Mannes oder des Männlichen durch die Frau

Dies läuft oft subtil auf der unbewussten Ebene ab. Der Frau ist die permanente Missachtung des Männlichen nicht bewusst. Ebenso ergeht es dem Mann, der die Missachtung nur unbewusst wahrnimmt und gewalttätig wird.

Diese Möglichkeit hängt auch eng mit dem nächsten Punkt 5 zusammen.

  1. Bindungsliebe: Gewalt als ungesundes, aber verbindendes Element zur Herkunftsfamilie

Meist tritt dies bei beiden Partnern gemeinsam auf. Gewalt war in der Herkunftsfamilie gang und gäbe. Es kann wie ein Kitt der gegenseitigen Aufmerksamkeit gewirkt haben. Für die Betroffenen ist Gewalt mehr oder minder normal.

Lenkas Aufstellung

Zuerst stellten wir Lenka und ihren Mann auf, um die Dynamik, die zwischen beiden herrscht, herauszuarbeiten.

Lenka 1

Abbildung 1: Anfangsbild; L=Lenka, P=Partner

Sofort fällt auf, dass sich Lenkas Stellvertreterin auf den Ballen stehend größer zu machen versucht. Dabei hat sie einen abschätzigen Gesichtsausdruck. Lenkas Ehemann ist erst ruhig, wird dann aber durch Lenkas tippeln zusehend gereizt.

Lenkas Verhalten ist ein erster Hinweis auf Missachtung des Männlichen. Um zu überprüfen, woher das kommen könnte, stellen wir als Nächstes zwei Ahnenreihen der Frauen von Lenkas Vater- und Mutterlinie auf.

Lenka 2

Abbildung 2: Zwischenbild 1

L=Lenka, P=Partner, V=Vater, M=Mutter, F=weibliche Ahninnen

Die beiden Ahnenreihen haben wir Lenka gegenübergestellt. Jetzt stellten wir die Frage nach dem Ursprung der mangelnden Achtung des Männlichen. Diejenige, die eine innere Resonanz verspürte, sollte sich zu erkennen geben.

Das war interessanterweise in der 4. Generation zurück bei der Vaterseite.

Hier ist es jetzt wichtig, eine Begegnung zwischen der Frau (hier in Grau dargestellt), bei der das Phänomen das erste Mal auftauchte und Lenka herzustellen.

Lenka 3

Abbildung 3: Zwischenbild 2

L=Lenka, P=Partner, F=Ahnin

Wir können hier jetzt nicht die exakten historischen Hintergründe wissen. Und das ist auch gar nicht nötig. Wir müssen hier auf der Herzebene arbeiten, damit diese unbewusste Übernahme der Missachtung aufhört.

Lenka kommt jetzt selbst in die Aufstellung.

AL=Leiter der Aufstellung, andere Abkürzungen wie oben

AL (zu F): Kannst du sehen, dass deine Nachfahrin durch ihre unbewusste Verachtung des Männlichen leidet?

F: Ja – aber sie hat doch recht damit!

AL (zu L): Was ist dir wichtiger, Lenka: recht zu haben oder in Frieden zu leben?

L: Ich will endlich Frieden! (seufzt)

AL (zu F): Kannst du das akzeptieren, dass deine Nachfahrin den Frieden wählt?

F: Ja.

AL (zu F): Wärest du bereit, symbolisch all diese negativen Wertungen zurückzunehmen, die mit dem Männerbild zusammenhängen?

F: Nein!

AL (zu L): Schau ihr mal in die Augen und sage „Bitte …!

L (zu F): Bitte …!

AL (zu F): Ich habe dich vorhin gefragt und ich frage dich nochmals: Kannst du wahrnehmen, wie sehr deine Nachfahrin leidet?

F: Ja …

AL (zu F): Kannst du sie anders sein lassen?

F: Ja.

AL (zu L): OK, geh langsam auf sie zu mit einem Kissen und gebe es ihr. Wenn sie es nicht nimmt, lege es ihr vor die Füße.

Lenka sucht sich ein Kissen und geht langsam auf ihre Ahnin zu.

Diese ist erst abweisend, dann wird sie unruhig und schließlich wendet sie sich ab. Lenka legt das Kissen trotzdem vor sie und zieht sich langsam zurück.

AL (zu F): Das Kissen liegt jetzt vor dir. Lenka hat einen anderen Weg gewählt. Kannst du mal in dein Ahnenherz spüren und ihr für diesen mutigen Schritt, dir zu widerstehen, deine Anerkennung geben?

F schaut überrascht und lächelt dann kurz.

F: Ja, irgendwie macht mich ihr Mut dann doch stolz.

AL (zu F): Hat sie vielleicht sogar deinen Segen verdient?

F: Mmmh … eigentlich ja?

AL (zu F): Wie wäre es mit: Du hast meinen Segen, wenn du es anders machst mit den Männern!

F: Mmmh … ja, OK.

Sie sagt es. Lenka strahlt. Fast heimlich nimmt die Ahnin das Kissen zu sich und drückt es an die Brust. Damit entlassen wir die Ahnin aus der Aufstellung.

AL (zu L): Wende dich nochmals deinem Partner zu, Lenka. Spüre mal hin, ob sich was verändert hat.

Lenka 1

Abbildung 4: Endbild

Die beiden stehen wieder wie am Anfang. Doch jetzt tippelt Lenka nicht mehr auf den Ballen und ihr Gesicht hat einen offenen Ausdruck. Auch ihr Mann schaut interessiert zu ihr.

AL: Schaut euch noch einmal mit bewussten Augen an. Ich möchte es hier stehen lassen.

Hiermit beenden wir Aufstellung. Die Erfahrungen dieser Aufstellung müssen erst noch integriert werden.

Es kann sein, dass diese Aufstellung für dieses Paar etwas zu spät kam. Leider habe ich nichts mehr von Lenka gehört. Grundsätzlich haben wir aber das unbewusste Muster unterbrochen, das auf Missachtung des Männlichen programmiert war.

Nachbetrachtung

© bertys30 - Fotolia.com
© bertys30 – Fotolia.com

Die Gründe für Gewalt von Männern gegen Frauen sind vielfältig. Neben Identifikation und Trauma spielt die Achtung gegenüber dem anderen Geschlecht eine wichtige Rolle. Dazu kann auch Bindungsliebe zum eigenen Familiensystem eine ungute Rolle spielen.

Bei Lenka spielte eine Übernahme von einer Ahnin die entscheidende Rolle.

Mit einem Appell an das Ahnenherz kann man viel erreichen, aber natürlich gibt es auch uneinsichtige, sture Ahnen, die etwas mehr Zeit brauchen oder manchmal gar nicht bereit sind, positiv mitzuwirken.

Bei allen Lösungsmöglichkeiten, die das Familienstellen bietet: in akuten Fällen rufe bitte das Hilfetelefon an, zieh eventuell in ein Frauenhaus und gehe von hier aus auf die Suche nach den tiefer liegenden Gründen.

Gerade am Anfang kann es gut sein, deine Erfahrungen erst einmal mit einer therapeutisch tätigen Frau zu teilen.

Dies war ein Beispiel für die Hintergründe häuslicher Gewalt. Wie oben angeführt ist die Palette der Gründe leider vielfältig.

Ich wünsche dir den Mut, aus der Spirale der Gewalt auszusteigen und ein neues Leben zu beginnen.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert